Kein Anspruch auf Erstattung für Bundesagentur für Arbeit gegen Krankenkasse

Zuständigkeitsstreit zwischen Bundesagentur für Arbeit und Krankenkasse

Wer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten kann und will, ist nicht verpflichtet, Krankengeld zu beantragen, sondern kann sich arbeitslos melden und sich im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellen. Dies hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg entschieden.

Im zugrundeliegenden Fall konnte ein versicherter Arbeitnehmer wegen orthopädischer Beschwerden nicht mehr als Bestatter arbeiten und erhielt Krankengeld von seiner Krankenkasse. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 30.04.2012 beendet. Im Februar 2012 meldete er sich zum 01.05.2012 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Bei seiner Krankenkasse meldete er sich nach dem 30.04.2012 nicht mehr und legte keine ärztlichen AU-Bescheinigungen mehr vor.

Bundesagentur für Arbeit begehrt Erstattung von Krankenkasse

Der ärztliche Dienst der BA stellte im April 2012 fest, dass der Versicherte zwar nicht mehr als Bestatter, aber ansonsten vollschichtig arbeiten könne. Nach dem Erhalt von Urlaubsabgeltung bis zum 18.06.2012 zahlte die BA vom 19.06.2012 bis 12.10.2012 Arbeitslosengeld in Höhe von 1.880,36 €. Diesen Betrag verlangte sie von der beklagten Krankenkasse erstattet und vertrat die Auffassung, der Versicherte hätte länger Krankengeld beziehen können und hätte entsprechend beraten werden müssen. Auch mit Krankengeld-Bezug hätte er sich parallel arbeitsuchend melden können, ohne dass dann Arbeitslosengeld zu leisten gewesen wäre.

Klage der Bundesagentur für Arbeit in erster Instanz erfolgreich

Die Klage der BA war in erster Instanz erfolgreich. Das Sozialgericht Heilbronn schloss sich der Argumentation der BA an und entschied, dass der Versicherte weiterhin Anspruch auf Krankengeld gehabt habe, mithin die BA als unzuständiger Träger eine Sozialleistung erbracht habe, die die Krankenkasse als eigentlich zuständige Behörde erstatten müsse.

LArbG: Kein Anspruch auf Krankengeld

Das Landesarbeitsgericht hat dies jedoch anders gesehen. Der Versicherte hatte nach dem 30.04.2012 keinen Anspruch auf Krankengeld mehr. Krankengeld wird nicht unbegrenzt, sondern nur für einen bestimmten Abrechnungszeitraum abschnittsweise bewilligt, mit der Möglichkeit der Verlängerung, indem der Versicherte jeweils Anschluss-AU-Bescheinigungen bzw. Auszahlscheine vorlegt, was der Versicherte hier nach dem 30.04.2012 nicht mehr getan hat. Er war auch nicht verpflichtet, weiter Krankengeld zu beantragen, sondern konnte sich arbeitslos melden, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellen und Arbeitslosengeld beantragen. Die BA hat daher keine Ansprüche gegen die Krankenkasse.

Sozialgesetzbuch (SGB)

SGB III: Arbeitslosenversicherung

SGB V: Krankenversicherung

§ 44 Abs. 1 SGB V

Versicherte haben Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht [...]

§ 49 Abs. 1 Nr. 3a SGB V:

Der Anspruch auf Krankengeld ruht, solange Versicherte Arbeitslosengeld beziehen.

§ 137 Abs. 1 SGB III

Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit hat, wer

1. arbeitslos ist,

2. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und

3. die Anwartschaftszeit erfüllt hat.

§ 138 Abs. 1 SGB III:

Arbeitslos ist, wer Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer ist und

1. nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit),

2. sich bemüht, die eigene Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen), und

3. den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit).

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.06.2017L 11 KR 3513/15 -

Quelle: Landessozialgericht Baden-Württemberg/ ra-online

Jobcenter muss Kosten einer Räumungsklage tragen

Anfallende Gerichtskosten sind als Bedarfe der Unterkunft zu berücksichtigen

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat entschieden, dass das Jobcenter die Kosten einer Räumungsklage zu tragen hat, wenn es einem Leistungs­berechtigten zu Unrecht die Leistungen versagt, dadurch Mietrückstände entstehen und der Vermieter in der Folge Räumungsklage erhebt. Die anfallenden Gerichtskosten sind als (einmalig anfallende) Bedarfe der Unterkunft im SGB II zu berücksichtigen.

Der 1953 geborene Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens bezog seit 2005 SGB-II-Leistungen. Er leidet an einer ausgeprägten chronifizierten seelischen Störung. Bereits seit 2009 war zwischen ihm und dem Jobcenter die Frage seiner Erwerbsfähigkeit im Streit. Ende 2011 forderte ihn das Jobcenter auf, Rente wegen Erwerbsminderung zu beantragen. Außerdem bat das Jobcenter die Deutsche Rentenversicherung um Prüfung der Erwerbsfähigkeit und stellte dort selbst für den Kläger einen Rentenantrag. Die Deutsche Rentenversicherung leitete im August 2012 das Rentenverfahren ein. Ab 1. Februar 2013 strich das Jobcenter dem Kläger sämtliche Leistungen, da er im Rentenverfahren die Antragsformulare nicht ausgefüllt und daher nicht ausreichend mitgewirkt habe. In der Folge konnte der Kläger seine Miete nicht mehr bezahlen. Sein Vermieter erhob Räumungsklage wegen Mietrückständen.

SG: Kosten einer Räumungsklage sind nicht als Bedarfe der Unterkunft berücksichtigungsfähig

Nachdem die Deutsche Rentenversicherung im Juni 2013 dem Jobcenter mitgeteilt hatte, dass ausgefüllte Antragsformulare vorlägen, bewilligte das Jobcenter wieder SGB-II-Leistungen. Die Mietrückstände wurden ausgeglichen und die Räumungsklage zurückgezogen. Jedoch setzte das Amtsgericht Gerichtskosten in Höhe von 857,68 Euro fest, die dem Kläger in Rechnung gestellt wurden. Das Jobcenter weigerte sich, diese Kosten zu übernehmen. Widerspruch und Klage in erster Instanz blieben erfolglos. Das Sozialgericht Konstanz hat sich der Argumentation des Jobcenters angeschlossen, wonach Kosten einer Räumungsklage nicht als Bedarfe der Unterkunft berücksichtigungsfähig seien.

Kosten der Räumungsklage entstanden aufgrund unrichtiger Sachbehandlung des Jobcenters

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg bewertete den Fall anders und gab dem Kläger Recht. Das Jobcenter hätte die Leistungen nicht ab 1. Februar 2013 streichen dürfen. Dadurch seien ohne Verschulden des Klägers die Mietrückstände entstanden und es sei zur Räumungsklage gekommen. Deren Kosten seien aufgrund einer unrichtigen Sachbehandlung des Jobcenters im Zusammenhang mit dem Bedarf an Wohnraum angefallen und können daher als Unterkunftskosten berücksichtigt werden, so das Gericht.

Abgabe von Antragsformularen der Deutschen Rentenversicherung zur Klärung des Sachverhalts nicht erforderlich

Im Einzelnen führte das Landessozialgericht aus, dass nicht ersichtlich sei, dass die Abgabe von Antragsformularen der Deutschen Rentenversicherung zur Klärung des Sachverhalts überhaupt erforderlich gewesen wäre. Jedenfalls sei die Sachverhaltsaufklärung hierdurch nicht wesentlich erschwert worden. Eine Verknüpfung der Antragsformulare mit dem Verfahren zur Klärung der Erwerbsfähigkeit bestehe nicht. Für die gutachterliche Stellungnahme benötige es keine Antragsformulare.

Kläger hatte in jedem Fall Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums

Außerdem hat das Jobcenter bei der Versagung der Leistungen das ihm zustehende Ermessen unzureichend ausgeübt, da sich zu maßgeblichen Gesichtspunkten und Fragen keine Ausführungen in den Versagungsbescheiden finden: Konnte trotz der psychischen Erkrankung des Klägers das geforderte Verhalten abverlangt werden? Weshalb hat das Jobcenter eine Versagung sämtlicher Leistungen und in vollem Umfang für notwendig erachtet? Hat das Jobcenter erkannt, welche Auswirkungen eine vollständige Versagung für den Kläger haben wird (auch mit Blick auf eine drohende Wohnungslosigkeit)? Da der Kläger in jedem Fall einen Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums hatte, entweder beim Jobcenter oder im Falle der Erwerbsminderung beim Sozialamt, hätte auch nachvollziehbar begründet werden müssen, warum die Behörde dieses Existenzminimum aufgrund nicht erfüllter Mitwirkungspflichten nicht mehr gewährleisten will. Dies gilt umso mehr, als hier nicht nur der tägliche Bedarf, sondern der Lebensmittelpunkt einer seit Jahren bewohnten kleinen Wohnung betroffen ist.

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch

§ 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I:

Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind.

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch

§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II:

Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.06.2017L 9 AS 1742/14 -

Quelle: Landessozialgericht Baden-Württemberg/ra-online

Keine Sozialleistungen bei Aufenthaltsrecht nur zur Arbeitsuche

SG Heilbronn entscheidet gegen BSG-Urteil: Keine Sozialleistungen bei Aufenthaltsrecht nur zur Arbeitsuche

Das Sozialgericht Heilbronn (Az. S 15 AS 2208/14) hat abweichend von der derzeitigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entschieden, dass Personen, die sich mit einem Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben.

Der Sachverhalt

Der Kläger ist italienischer Staatsangehöriger, lebte und arbeitete nach eigenem Vortrag in Deutschland bereits von 2001 bis zu seiner Rückkehr nach Italien im Jahr 2006. Im April 2013 reiste er wieder nach Deutschland ein und war bis zur Kündigung durch den Arbeitgeber für ein Dreivierteljahr (bis Januar 2014) als Reinigungskraft beschäftigt.

Seine Frau reise im September 2013 erstmals nach Deutschland ein und blieb zunächst arbeitslos. Das Jobcenter Stadt Heilbronn bewilligte dem Ehepaar daraufhin SGB II-Leistungen von Dezember 2013 bis Juli 2014, lehnte es aber aufgrund des erst kurzen Aufenthalts bzw. der Beschäftigungszeit in Deutschland von zuletzt lediglich einem Dreivierteljahr ab, darüber hinausgehend Leistungen zu gewähren. Hiergegen richtet sich die Klage.

Die Entscheidung

Vor dem Sozialgericht Heilbronn (Urteil, Az. S 15 AS 2208/14) blieb die Klage erfolglos. Da der Kläger nach seiner Wiedereinreise weniger als ein Jahr beschäftigt gewesen sei, habe anschließend sein Arbeitnehmerstatus für die Dauer von maximal sechs Monaten aufrechterhalten bleiben und ein etwaiger Anspruch auf „Hartz IV“ auch nur in diesem Zeitraum bestehen können.

Auch sei aus dem früheren Aufenthalt in Deutschland von 2001 bis 2006 kein Arbeitnehmerstatus mehr abzuleiten. Denn bis zur Wiedereinreise im April 2013 seien deutlich mehr als zwei Jahre vergangen und ein etwaiges Daueraufenthaltsrecht in Deutschland bereits verloren gewesen.

Die Kläger hätten auch keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt gegen den beigeladenen Sozialhilfeträger (die Stadt Heilbronn). Denn abweichend von der derzeitigen BSG-Rechtsprechung scheitere ein Anspruch der Kläger an der Ausschlussregelung des § 21 S. 1 SGB XII. Danach erhalten Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, grundsätzlich keine Sozialhilfe.

Der Gesetzgeber habe gerade für den Personenkreis, der - wie hier die Kläger - unter den Ausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II falle, keinen Leistungsanspruch auf Sozialhilfe gewollt. So habe er kürzlich auch in einer Gesetzesänderung klargestellt, dass Personen, welche sich mit einem Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitssuche in Deutschland aufhielten, sowohl von Leistungen nach dem SGB II ("Hartz IV") als auch nach dem SGB XII (Sozialhilfe) ausgeschlossen seien. Das Urteil ist zum Stand 23.03.2017 noch nicht rechtskräftig.

Gericht:
Sozialgericht Heilbronn, Urteil vom 22.02.2017 - S 15 AS 2208/14

SG Heilbronn
Quelle: Rechtsindex - Recht & Urteile

Zur Aussage zwingen: Mehr Macht für die Polizei Fast unbemerkt hat die Politik das Aussageverweigerungsrecht beschnitten

Zur Aussage zwingen: Mehr Macht für die Polizei

Fast unbemerkt hat die Politik das Aussageverweigerungsrecht beschnitten

Am 7. Juli 2017 hat der Bundesrat ein Gesetz beschlossen, das Zeugen unter bestimmten Bedingungen zu einer Aussage gegenüber Polizeibeamten zwingt. Damit ist das uneingeschränkte Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber Polizisten abgeschafft. Darüber ist bislang nicht berichtet worden. Denn der Paragraf versteckt sich im »Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens«, das auch die rechtliche Grundlage für den Einsatz des Bundestrojaners geschaffen hatte. Die Berichterstattung konzentrierte sich auf diese Verletzung von Bürgerrechten durch Bundestrojaner. Jene, um die es hier geht, passierte den Bundesrat völlig unbemerkt.

Bislang musste man der Vorladung eines Staatsanwalts nachkommen. Nicht aber der eines Polizisten. Man durfte sie ausschlagen und hatte keine Sanktion zu befürchten. Mit dem neuen Gesetz gilt nun: Vorladungen der Polizei sind verpflichtend, wenn ihnen ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zu Grunde liegt. Erscheint man nicht, kann der Staatsanwalt ein Ordnungsgeld verhängen, ein Richter sogar Ordnungshaft.

Doch das ist nicht das größte Problem, sagt der Strafverteidiger Udo Vetter, der auf seinem »lawblog« regelmäßig Angriffe des Staates auf Bürgerrechte anprangert. Wer nach Vorladung durch eine Staatsanwalt nicht erschien, hatte auch früher mit Zwangsmitteln zu rechnen. Neu ist nun, dass die Polizei bei der Zeugenvernehmung von der Kontrolle durch die Staatsanwaltschaft, die traditionell Herrin des Ermittlungsverfahrens ist, entkoppelt werden könnte. Vetter befürchtet nämlich, dass die Staatsanwaltschaft der Polizei nicht für jede Zeugenvernehmung einen Einzelauftrag erteilt, sondern bloß einmal einen allgemeinen Auftrag an ein Polizeipräsidium richtet, Zeugen in allen Fälle eines bestimmten Sachgebiets – organisierte oder politisch motivierte Kriminalität etwa – zu vernehmen. Damit würden Polizisten in der täglichen Ermittlungsarbeit verpflichtende Zeugenbefragungen vornehmen können, ohne dass ein Staatsanwalt im Einzelfall davon auch nur erführe.

Die Leitungsfunktion der Staatsanwaltschaft – ein Grundsatz der Strafprozessordnung – wäre damit untergraben. Dabei sind Staatsanwaltschaften mit dem Reichsjustizgesetz von 1877 eigens zu diesem Zweck geschaffen worden – nämlich »um Missstände im Verhalten der Polizei zu beseitigen und als deren Wächter zu dienen«, wie Susanne Beck, Strafrechtsprofessorin an der Uni Hannover schreibt.
Ein allgemeiner Auftrag der Staatsanwaltschaft an die Polizei ist kein Hirngespinst. Die Landesregierungen von Hessen, Bayern und Nordrhein-Westfalen hatten sie in der Begründung einer im März 2010 gescheiterten Bundesratsinitiative selbst befürwortet. Warum sollte der Gesetzgeber die Staatsanwaltschaft auch mit der Bearbeitung unzähliger Einzelfallaufträge belasten, wenn er mit dem neuen Gesetz erklärterweise das Ziel verfolgt, Ermittlungs- und Strafverfahren zu straffen?

In der Tat könnten Staatsanwaltschaften sich der Leitungsfunktion im Ermittlungsverfahren bereitwillig entledigen, wie ein Gutachten des Koblenzer Oberstaatsanwalts Johannes Walter Schmengler nahelegt, das dieser im Auftrag des Bundesjustizministerium im November 2014 vorlegte. Er befürwortet darin die Aussagepflicht, denn: Misstrauen gegenüber der Polizei sei ungehörig, weil diese an Recht und Gesetz gebunden sei. Der Vertrauensvorschuss wird im Gutachten durch die verschwindend geringe Zahl von Beschwerden gegen Polizisten begründet, die beim Bürgerbeauftragten des Landes Rheinland-Pfalz eingehen. Für Nachfragen zu seiner Argumentation stand Schmengler nicht bereit. Eine Interviewanfrage des »neuen deutschlands« ließ die Pressestelle der Staatsanwaltschaft zunächst unbeantwortet.

In einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages im März warnte der Strafanwalt Stefan Conen, die geplante Aussagepflicht lade zu taktischer Missachtung der Selbstbelastungsfreiheit ein. Er befürchtet, Beschuldigte könnten als Zeugen vorgeladen und über ihr Auskunftsverweigerungsrecht nicht belehrt werden. Udo Vetter befürchtet zudem, Polizeibeamte könnten ohne Kontrolle durch einen Staatsanwalt auf die Idee kommen, Zeugen zu zermürben, indem sie Vorladungen auf weit entfernte Dienststellen erteilen, etwa einen Zeugen aus Düsseldorf nach Rostock bestellen.

Die Bundesregierung hatte Vorstöße der Bundesländer, eine Aussagepflicht einzuführen, wiederholt abgelehnt. Im November 2006 äußerte sie noch die Sorge, Staatsanwaltschaft und Polizei könnten von der Möglichkeit eines allgemeinen Vernehmungsauftrag umfassend Gebrauch machen. Die Sachherrschaft der Staatsanwaltschaft würde auf bedenkliche Weise zurückgedrängt. Etliche Bürgerrechtseinschränkungen später ist die Bundesregierung nun offenbar zu einer Neueinschätzung gelangt.

Quelle: neues Deutschland

 

Gezahltes Urlaubs- und Weihnachtsgeld erhöht das Elterngeld nicht

Das BSG hat entschieden, dass jährlich einmal gezahltes Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht das Elterngeld erhöhen. Die Zahlungen würden lohnsteuerlich als sonstige Bezüge gelten.

Jährlich einmal gezahltes Urlaubs- oder Weihnachtsgeld erhöhen nicht das Elterngeld. Diese Gelder bleiben bei der Bemessung des Elterngeldes als sonstige Bezüge außer Betracht, entschied das Bundessozialgericht (BSG) am Donnerstag in Kassel (Urt. v. 29.06.2017, Az. B 10 EG 5/16 R).

Die Klägerin war vor der Geburt ihrer Tochter im Jahr 2014 und ihrer sich anschließenden Elternzeit als Angestellte tätig. Sie hatte nach ihrem Arbeitsvertrag Anspruch auf monatliche Lohnzahlung in Höhe von 1/14 des vereinbarten Jahresgehalts. Die einmal jährliche Zahlung eines Urlaubsgeldes im Mai und eines Weihnachtsgeldes im November sollten weitere je 1/14 des vereinbarten Jahresgehalts betragen. Die Elterngeldstelle berücksichtigte lediglich die monatlich wiederkehrenden Löhne, nicht aber das Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Der Vertreter der Mutter argumentierte vor Gericht, dass im Arbeitsvertrag aber ein Jahreslohn festgelegt worden sei. Dieser werde in Raten ausgezahlt, zwei davon in doppelter Höhe. Damit zählten Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu den laufenden Einkünften.

Das BSG widersprach dem: Das Elterngeld bemesse sich für Arbeitnehmer nach dem Durchschnitt des laufenden, in der Regel monatlich zufließenden Lohns im Bemessungszeitraum. Üblicherweise seien damit die laufenden Löhne in den zwölf Kalendermonaten vor dem Geburtsmonat des Kindes Grundlage der Berechnung.

Eine Zuordnung zum laufenden Lohn folge zudem nicht daraus, dass Urlaubs- und Weihnachtsgeld als Teile des Gesamtjahreslohns zu berechnen sind. Die Zahlung erfolge anlassbezogen - einmal vor der Urlaubszeit und einmal vor Weihnachten, erklärten die Kasseler Richter. Die Zahlungen würden damit lohnsteuerlich als sonstige Bezüge gelten. Diese sind laut Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) nicht anzurechnen.

Quelle: acr/LTO-Redaktion